Ich bin grundsätzlich offen für neue Anlageideen (auch ich bin nicht allwissend). Aus Neugier habe ich Invest4kids kontaktiert, online ein paar Eckdaten hinterlassen, schnell einen Ersttermin gebucht und anschließend ein Videogespräch mit einem Anlageberater angeboten bekommen.
Wichtig zur Einordnung: Das Videogespräch habe ich dann abgesagt, nachdem ich bei eigener Recherche festgestellt hatte, dass hinter dem Angebot ein Versicherungsprodukt (ETF-Police/Alte Leipziger FR10) steckt. Die geplanten 45 Minuten wollte ich mir und Invest4kids ersparen.
Ich hatte dann noch ein paar Fragen, dienlich per E-Mail gestellt habe und als Antwort unter anderem ein sogenanntes „Cheat-Sheet“ mit „Fakten“ bekommen.
Positiv bleibt festzuhalten:
- sehr unkomplizierte Terminvereinbarung
- freundlicher, serviceorientierter Kontakt
- schnelle, hilfreiche Antworten per E-Mail
- der Ansprechpartner wirkte qualifiziert
Der professionelle Ton passt – inhaltlich bleiben jedoch wesentliche Kritikpunkte. Im Kern geht es um Kosten, Rendite-Narrative, Steuer-Argumente und Alternativen, die in Summe gegen das angebotene Konstrukt sprechen.
Was angeboten wird – kurz und nüchtern
- Produkt: ETF-Police (fondsgebundene Rentenversicherung, Alte Leipziger FR10).
- „Standard-ETFs“ laut Anbieter: S&P 500, Nasdaq 100, L&G Clean Water.
- Versprochenes Extra: „dynamische“ Aufteilung (Umschichten je nach Marktlage) – steuerfrei innerhalb des Mantels.
Klingt modern. Entscheidend ist aber nicht, wie modern es klingt, sondern was nach Kosten & Steuern langfristig fürs Kind übrig bleibt.
1) Kosten schlagen (fast) alles
Der Anbieter nennt eine Gesamtkostenquote um 1 % p.a. (mit längerer Laufzeit angeblich „unter 0,8 %“). Das ist mehrfach so viel wie ein einfaches ETF-Depot (~0,2 % TER).
Was das praktisch bedeutet (realistisch gerechnet):
- Beispiel: 100 € pro Monat von Geburt bis 18. Geburtstag ⇒ Einzahlungen gesamt 21.600 €.
- Modellierung (jährlich, bewusst konservativ):
- Versicherungsprodukt: 6 % Brutto − 0,8 % Kosten ⇒ 5,2 % Netto p.a., zusätzlich 100 € Abschluss-/Fixkosten p.a. → investiert werden effektiv 1.100 €/Jahr. Ergebnis mit 18: ≈ 33.169 €.
- ETF-Depot: 6 % Brutto − 0,2 % Kosten ⇒ 5,8 % Netto p.a.; auf die jährlichen Einzahlungen ein einmaliger Kaufkostenaufschlag 1,6 % (im Modell) → investiert 1.180,80 €/Jahr. Ergebnis mit 18: ≈ 37.887 €.
➡️ Schon mit 18 liegt das Depot rund 4.700 € vorn – bei identischer Kapitalmarktrendite und ohne jeden „Steuertrick“.
Warum mich viele „Cheat-Sheets“ skeptisch machen:
Dort werden Depotkosten oft künstlich aufgeblasen (z. B. „324 € Orderentgelt“, „150 € Spread“, „200 € Transaktionskosten“). Realistisch sind bei heutigen Sparplänen häufig 0 € Gebühren und ein Spread grob ~0,1 % – bei 21.600 € Einzahlungen also ~21,60 €, nicht 150 €. Mit solchen Annahmen lässt man den Versicherungsmantel künstlich glänzen.
Kernsatz: Bei gleicher Marktentwicklung entscheiden laufende Kosten den Langstreckenlauf – und da ist das Depot objektiv im Vorteil.
2) „Aktiv umschichten“ klingt smart – ist aber Timing-Wettbewerb
Das zentrale Verkaufsargument lautet: „Dynamisch anpassen, Marktchancen nutzen.“ Steuerfrei im Mantel – ja. Aber:
- Markt-Timing ist kein dauerhaft reproduzierbarer Skill. Es gibt keine Glocke, die läutet, wenn ein Boom startet oder endet.
- Im Rückblick wirkt alles logisch („KI war klar“). Vor 10 Jahren hätte kaum jemand „alles auf NVIDIA“ gesetzt.
- Die genannten ETFs (S&P 500, Nasdaq 100, Clean Water) sind frei kaufbar. Wer sie halten will, kann sie günstig selbst ins Depot legen – ohne Versicherungsmantel.
- „Mehr Rendite ohne mehr Risiko“ durch Umschichtung ist ein Narrativ, kein Naturgesetz. Auf Dauer entscheidet die Kostenstruktur, nicht die Story.
Kernsatz: Wenn Umschichten wirklich Mehrwert hätte, ließe es sich ohne Mantel günstiger abbilden. Der Mantel ist dafür nicht Voraussetzung.
3) Steuern: Erzählungen vs. Netto-Realität
Versicherungs-Narrativ: „Steuerstundung im Mantel, später Begünstigung.“
- Teilwahr mit Haken: Die oft zitierte Begünstigung greift in der Regel erst ab 62 (und mind. 12 Jahre Laufzeit). Dann werden 50 % des Gewinns mit dem persönlichen Steuersatz besteuert (z. B. 25 % ⇒ effektiv 12,5 % auf den Gewinn).
- Davor? Keine pauschale Begünstigung – Entnahmen sind steuerlich nicht „magisch“ frei.
ETF-Realität:
- 30 % Teilfreistellung bei Aktien-ETFs ⇒ versteuert werden nur 70 % des Gewinns mit 25 % Abgeltungssteuer ⇒ effektiv 17,5 %.
- NV-Bescheinigung (Kind): Gewinne können bis zu den Freibeträgen steuerfrei realisiert und wieder investiert werden.
- Wichtig: Dieses „Bereinigen“ der Kursgewinne vor dem 18. Lebensjahr ist im Versicherungsmantel nicht möglich – dort bist du an die Vertragslogik gebunden.
Unterm Strich: Der gern bemühte Steuerjoker des Mantels schrumpft, sobald man Teilfreistellung und NV ehrlich einrechnet. Der Kostennachteil bleibt – und der ist groß.
4) „Mit 18 verprasst das Kind alles“ – Angstbild statt Lösung
Ja, mit 18 ist man volljährig. Das Horrorszenario „alles verprassen“ ist jedoch Angstmarketing. Realistische, bessere Lösungen:
- Tranchen-Übergabe (z. B. 25 % mit 18, Rest gestaffelt).
- Zweckbindungen (Führerschein, Ausbildung, Mietkaution).
- Begleitete Finanzbildung statt Sperrfrist-Bevormundung.
Pädagogisch sinnvoller als eine teure Police: Kompetenz aufbauen und verantwortlich übergeben.
Was bleibt bis zur Rente wirklich übrig?
Wir lassen die realistischeren 18-Jahres-Endwerte einfach bis 67 weiterlaufen – ohne weitere Einzahlungen:
- Versicherung: Start 33.169 €; Wachstum 5,2 % p.a. → ~397.652 € brutto. Gewinn ~364.483 € → Steuer (Halbeinkünfte-Logik ab 62, 12,5 % effektiv bei 25 % persönlichem Satz) ~45.560 € → ~352.091 € netto.
- ETF: Start 37.887 €; Wachstum 5,6 % p.a. → ~547.037 € brutto. Gewinn ~525.437 € → Steuer (30 % Teilfreistellung, 25 % auf 70 %) ~91.951 € → ~455.085 € netto.
Ergebnis: Der ETF liegt deutlich über 100.000 € Netto vorn – trotz aller „Steuervorteile“ des Mantels. Das ist Kosten- und Renditeeffekt über Jahrzehnte.
Hinweis: Das sind Modellrechnungen mit vereinfachten Annahmen (keine individuelle Steuer-/Rechtsberatung). Je nach persönlicher Situation können Werte abweichen. Die Relationen bleiben jedoch robust: Kosten dominieren.
Faktencheck: Das „Cheat-Sheet“ (Verdrehungen & Gegencheck)
1) Depotkosten
- Behauptung: Hunderte Euro an Order-/Transaktions-/Spreadkosten.
- Realität: Moderne Sparpläne oft 0 €; Spread grob ~0,1 % → bei 21.600 € Einzahlungen ~21,60 €.
- Fazit: Depotkosten werden künstlich aufgeblasen, um die Police besser aussehen zu lassen.
2) „Mehr Rendite durch aktive Auswahl“
- Behauptung: „Mehrere Prozent“ über dem MSCI World.
- Realität: Das wäre dauerhaftes Timing-Alpha – historisch nicht belegbar.
- Fazit: Irreführend. Die genannten ETFs kann jeder günstig selbst kaufen.
3) Steuervorteil des Mantels
- Behauptung: „Deutlich besser besteuert.“
- Realität: Vorteil erst ab 62 (12-Jahre-Regel). Effektiv 12,5 % (bei 25 % persönlichem Satz). ETF: 17,5 % (Teilfreistellung). Und: NV-Bescheinigung erlaubt im Depot des Kindes steuerfreie Realisation bis zu Freibeträgen – im Mantel nicht.
- Fazit: Vorteil klein bzw. durch Kosten überkompensiert.
4) BAföG/Verfügbarkeit
- Behauptung: Depot schadet BAföG, Kind verprasst alles.
- Realität: Gestaffelte Schenkungen, NV, Tranchen und Zweckbindungen lösen das sauber.
- Fazit: Angstargument.
5) „Kostenlos“ & „unabhängig“
- Hinweis: „Kostenlos“ ist es selten – häufig fließen Provisionen/Kickbacks. „Unabhängig“ zu werben, wenn man über Provisionen verdient, ist irreführend.
- Praxis-Tipp: Anbietername + „Abmahnung Verbraucherzentrale“ googeln.
Fairness-Check: Was müsste passieren, damit ich umdenke?
- Transparente, auditierbare Kosten ≤ 0,4 % p.a. gesamt.
- Keine Rendite-Heilsversprechen durch Umschichten; klarer Hinweis auf Rendite = Risiko.
- Ehrliche Steuerdarstellung inkl. Teilfreistellung und NV-Option.
- Nutzwert, den ich ohne Mantel nicht bekomme (z. B. echte, wertvolle Garantien; echter Risiko-/Absicherungsvorteil; klarer Service-Mehrwert).
Solange das fehlt, bleibt der ETF-Sparplan im Depot mein Favorit: einfach, günstig, transparent.
Entscheidungs-Checkliste
- Kostenquote > 0,5 % p.a.? → wird teuer.
- „Mehr Rendite durch Umschichten“? → Timing-Mythos.
- Steuer-Vorteil nur ab 62? → Vorteil klein, Kosten groß.
- NV-Bescheinigung & 30 % Teilfreistellung fair berücksichtigt?
- Depotkosten realistisch gerechnet (Sparplan oft 0 €, Spread ~0,1 %)?
- Wird mit „kostenlos/unabhängig“ geworben, aber über Provisionen verdient?
- BAföG/18-Jahre als Angstbild statt Lösungen (Tranchen, Zweckbindungen)?
Fazit in einem Satz
Gleiche ETFs, höhere Kosten, wackelige Timing-Story – deshalb bleibt das Depot die effizientere Wahl.